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Von der Angst im Dunkeln.; Wie die Angst beruhigt werden kann.; Von Sicherheit und Geborgenheit.; Von der Freundschaft.; Vom heilsamen Reden über das, was ängstigt.; Zum Bilderbuch; Es war Nacht. Frosch lag mit grossen Augen im Bett. Er fürchtete sich. Überall hörte er seltsame Geräusche, es raschelte und knarrte. War da nicht jemand unter seinem Bett? Er sprang aus dem Bett und rannte so schnell er konnte mitten durch den dunklen Wald zu Ente. Diese wollte gerade ins Bett gehen. Als sie vom Gespenst unter Froschs Bett erfuhr, lachte sie. «Quatsch … das gibt's gar nicht.» Dann lud sie ihn ein, bei ihr zu bleiben. «Ich habe keine Angst.» Sie kuschelten sich in ihrem Bett zusammen. Hier war es warm. Frosch hatte nun auch keine Angst mehr. Plötzlich hörten sie im Dunkeln ein Kratzen und Knarzen. Ente stand hellwach im Bett. «Dieses Haus ist voller Gespenster!», schrie Frosch. «Nichts wie raus!» Frosch und Ente rannten, so schnell sie konnten, durch den unheimlichen Wald zum Haus von Schwein und hämmerten an die Tür. Verschlafen und ärgerlich über die Störung öffnete Schwein: «Was für ein Unsinn! Gespenster und Monster gibt es nicht!» Auch als er aus dem Fenster schaute, konnte er nichts entdecken. Doch weil Frosch so bettelte, liess er die beiden in sein Bett schlüpfen. Da lagen sie nun, starrten in die Nacht und lauschten den seltsamen erschreckenden Geräuschen aus dem Wald. Auch Schwein hörte sie jetzt. Zum Glück konnten sich die drei Freunde gegenseitig beruhigen. Sie erzählten sich laut, dass sie vor gar nichts Angst hätten. Bis sie erschöpft einschliefen. ; Als am anderen Morgen Hase seinen Freund Frosch besuchen wollte, stand die Tür sperrangelweit offen und Frosch war nirgends zu sehen. Auch Entes Haus war leer. Da musste etwas Schlimmes geschehen sein. Voller Angst rannte er durch den Wald und suchte seine Freunde. Ob Schwein Näheres wusste? Als dort niemand öffnete, schaute er durchs Fenster und sah die drei Freunde im Bett, schlafend, obwohl es bereits zehn Uhr morgens war. Er klopfte ans Fenster. «Hilfe, ein Gespenst!», schrien die Drei, doch da er-kannten sie Hase. Erleichtert und aufgeregt erzählten sie einander, was geschehen war. Am Frühstückstisch in der hellen Sonne redeten sie über Gespenster, Monster und andere haarsträubende Dinge. Und über die Angst. «Wisst ihr», sagte Hase, «jeder hat manchmal Angst.» – «Sogar du?», fragte Frosch überrascht. – «Oh ja. Heute morgen hatte ich grosse Angst, als ich dachte, ihr seid verschwunden.» – «Wieso?», lachten da die drei. «Wir sind doch immer da?!!!»; ; Interpretation; Das Ängstigende kann überall und alles sein. Es ist, wie wenn es jenseits eines sicheren und geborgenen Bezirkes lauert und nur darauf wartet, eine Schwachstelle zu entdecken, um über einen herzufallen.; In dieser Geschichte ängstigen die unheimlichen Geräusche. Der Ohr-Sinn ist im Mutterleib bereits sehr früh ausgebildet. Er gehört zu den verletzlichsten Strukturen im Körper des Menschen und liegt gut geschützt im Kopfinneren. Gleich daneben befindet sich das Gleichgewichtsorgan, das präzise Informationen über die eigene Lage und Bewegung im Raum vermittelt. Die Informationen beider Organe werden über einen ge-meinsamen Nerv ans Zentralnervensystem weitergeleitet. Die Ohren sind besonders hellhörig für die Gefahr. Was sie Bedrohliches hören, muss seit Urzeiten blitzschnell mit einer Bewegung beantwortet werden können: zusammenkauern, erstarren, oder noch besser fliehen. Und Frosch flieht zu Ente, sogar durch den dunklen Wald. Wenn man nur Distanz schaffen kann zu den Gespenstern!; Ente hat zunächst keine Angst. Sie weiss, dass es keine Monster gibt. Doch irgendwie ist die Angst von Frosch ansteckend. Sie springt über wie ein gefährliches Virus. Dadurch, dass die beiden ihre Aufmerksam-keit auf die ängstigenden Geräusche lenken, nehmen sie diese auch wahr– und werden von den Wahrneh-mungen überwältigt. Schon hat die Angst sie wieder und beraubt sie des eigenen, sicheren Standortes. Die Flucht durch den dunklen Wald wiederholt sich, diesmal sind sie zu zweit.; Wenn sich etwas wiederholt, ist es nicht mehr das gleiche. Die Wiederholung erlaubt, das Ängstigende zu erforschen und den eigenen Spielraum zu entdecken. Deshalb kann man zum Beispiel in den Spielen der Kinder (aber auch bei Erwachsenen) beobachten, wie Angstsituationen regelrecht inszeniert und dann als Ritual durchgespielt werden.; Das nächste Mal müssen sie tatsächlich nicht mehr fliehen. Sie sind ja nun auch zu dritt, liegen eng im Bett aneinander gekuschelt. Durch das laute Erzählen und Reden spüren sie wieder ihren eigenen Standort und fangen an, die Angst zurückzudrängen. So setzen sie den äusseren Geräuschen ihre eigene Lautstärke entgegen. Zum Glück ist nicht nur die Angst, sondern sind auch der Mut und die Kreativität ansteckend. ; Sich mit anderen zusammentun, ängstigende Situationen inszenieren und im Spiel beziehungsweise Ritual gestalten, die eigene Kraft und Energie ins Spiel bringen (durch die Stimme, durch kreative Gestaltungen usw.) – das sind drei wichtige Elemente, um der Angst entgegenzutreten.; Haben Kinder eigentlich öfter und mehr Angst als die Erwachsenen? Oder fürchten sie sich einfach vor an-deren Dingen als die Erwachsenen? Weil Kinder noch stärker und ausschliesslicher als Erwachsene durch ihre Sinne leben, werden die Angstempfindungen direkt und ungefiltert ausgelöst, wenn die Sinne Fremdes und Unvertrautes melden. Erwachsene haben den Kindern voraus, dass sie die Gefahren meist besser einschätzen können. Das durch Lebenserfahrung gewonnene Wissen hilft ihnen, die Sinneswahrnehmungen richtig zu beurteilen: Was ist gefährlich? Was tönt nur gefährlich, ist es aber nicht? Doch auch das Erwachsenen-Wissen kann die Angst nicht auslöschen, sondern höchstens begrenzen. Wie schnell kann diese wieder überhand nehmen!; Hase repräsentiert in dieser Geschichte die erwachsene Position. Von ihm erfahren die Freunde, dass auch er Angst hat, nicht vor Geräuschen, aber dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. «Sogar du?», staunen sie. Wie gut, dass Hase sich dazu bekennt.; Alle haben Angst, wenn auch vor unterschiedlichen Dingen. Angst zu haben ist normal, so abnormal es sich auch anfühlt. Dies zu wissen, ist sehr hilfreich. Es erleichtert einem, Wege zu suchen, um damit umzugehen. Darum ist es auch gut, wenn diese Geschichte erzählt wird. Sie hilft den Kindern und Erwachsenen, sich mit ihren Ängsten nicht so allein zu fühlen. |